Krankheit, Leid, Trauer und Tod – alles keine Themen, mit denen man sich als Mensch gerne auseinandersetzt. Und doch gehört für viele die Auseinandersetzung damit zum Berufsalltag. Sie arbeiten als Seelsorger, Mediziner und Psychotherapeuten und haben Erfahrung, mit dem, was in unserer Gesellschaft nur allzu gerne verdrängt wird. Für das österreichische Künstlerduo Barbara Hölbling und Mario Höber aka hoelb/hoeb stellt der Tod und unser Umgang mit ihm einen wichtigen Moment im Sinne einer Solidaritätsbewegung dar. Für ihre Installation im „brut“ haben sie Wissenschaftler, Künstler und Menschen, die in sozialen Berufen tätig sind, eingeladen einem interessierten Publikum Rede und Antwort zu stehen. „LOST_INN. staging grief“ nennt sich das Projekt und versteht sich als Interaktions- und Kommunikationsraum um Zugänge und Erfahrungen zu vermitteln sowie seine eigenen persönlichen Verlusterfahrungen zu reflektieren.

Verhandelt wird in der zweistöckigen installativen Arbeit ebenso die private wie die öffentlich politische Sphäre, denn der Tod betrifft beide. Besonders verdeutlicht wird dies u.a. an dem Projekt von Friedl Nussbaumer. Der Grafik-Designer, der seinen Lebensgefährten aufgrund von AIDS verlor, initiierte in den 90er Jahren das amerikanische „Names Projekt“ in Wien. Dabei handelt es sich um einen Prozess der Trauerbewältigung mit den Mitteln des Quiltens (Erstellung von Patchworkdecken). Die in die Decken eingearbeiteten Namen der Verstorbenen werden zudem in einem politischen Akt der öffentlichen Präsentation sichtbar gemacht. Die Besucher erfahren vor einer Patchworkarbeit stehend über Ausgangssituation und Verlauf, können Fragen stellen und von ihren eigenen Erfahrungen sprechen.

Wer sich in der Theater-Installation geborgen fühlt oder einen Hang zu grenzüberschreitenden Projekten pflegt, hat außerdem die Möglichkeit sich in den Empathie-Apparaturen von hoelb/hoeb, die in der Mitte des Theaterraums aufgestellt sind, von den Künstlern in die Arme nehmen zu lassen. Die Objekte setzen sich auf performative Weise mit den so genannten Pietà-Skulpturen auseinander, die im 14. Jahrhundert ihren Weg in die Kunst gefunden haben. Künstler und Besucher nehmen je nach Lust die Haltung des Haltenden oder des Gehaltenen ein. Ziel der Aktion ist es neben dem Erleben des Gefühls der Nähe auch das statische Bild der Pietà, die erstarrte Trauer, aufzulösen. Seine Erfahrungen besprechen kann man anschließend oder im Vorfeld an der Bar der Professionellen, wo Bestatter, Krankenschwestern, Theologen, Mediziner, Astrophysiker oder Kulturarbeiter zum Gespräch bereitstehen.

© hoelb/hoeb

© hoelb/hoeb

Wer sich zurückziehen möchte, kann dies entweder im Vorraum oder auf der Galerie, um das Treiben zu beobachten oder sich in die Betrachtung diverser Kunstobjekte zu versenken. Zu sehen sind u.a. Arbeiten von Christian Eisenberger, Florian Pumhösl, Markus Schinwald, Olafur Eliasson und Elisabeth Zahnd-Legnazzi. Letztere begleitete ihre Tochter „Chiara“ in ihren letzten Lebensmonaten fotografisch. Nicht die einzige Künstlerin vor Ort, die sich mit dem Verlust eines Kindes auseinandersetzt. Mit ihrem Film „Mein kleines Kind“ verarbeitet Katja Baumgarten den Verlust ihrer schwerkrank geborenen Tochter. Ein bewegender Film, der im intimen Rahmen einer Kabine zur Betrachtung und Verarbeitung einlädt. Die Arbeit ist Teil eines beeindruckenden Gesamtkonzepts, das niemals so etwas wie Unwohlsein aufkommen lässt – im Gegenteil, selten war ein Theaterbesuch so heilsam.

LOST_INN. staging grief
Eine gelenkte Spurensuche durch die Trauer- und Erinnerungskultur
hoelb/hoeb
12. bis 15. Jänner 2017
brut
Karlsplatz 5, 1010 Wien
[email protected]
Telefon: +43 (0) 1 587 87 74 (Mo – Fr von 10 bis 17 Uhr)
www.brut-wien.at

Geschrieben von Sandra Schäfer